Wie weit reicht ein Liter Kraftstoff heute?
Hamburg. Deutsche Studenten mit 16 Fahrzeugen beim Jubiläumsrennen des Shell Eco-marathon Europe – heute Auftakt zur heißen Phase der Vorbereitung bei der Shell Rheinland Raffinerie in Köln
Er gilt als einer der härtesten Wettbewerbe für Studenten der Ingenieurwissenschaften: Seit 30 Jahren haben sich schon zehntausende Studenten beim Shell Eco-marathon Europe der Herausforderung gestellt, mit ihren selbst konstruierten Fahrzeugen und einem Liter Kraftstoff oder einer Kilowattstunde Strom so weit wie möglich zu fahren. Mit beeindruckenden Ergebnissen: In der Spitze ist hochgerechnet sogar bereits eine Strecke von Deutschland bis nach Nordafrika erreicht worden. In diesem Jahr sind 230 Teams aus 30 Ländern in Europa und Afrika für den Wettkampf vom 21. bis 24. Mai in Rotterdam (Niederlande) qualifiziert. Aus Deutschland gehen unter der Schirmherrschaft von Bundesforschungsministerin Johanna Wanka 16 Teams von Hochschulen und Berufsschulen an den Start, um Europas Effizienzkrone zu erringen.
Nun geht es in die heiße Phase: Am Safety Center der Shell Rheinland Raffinerie testeten am Mittwoch Teams aus Köln, Offenburg (Baden-Württemberg), Trier (Rheinland-Pfalz) und Friedberg (Hessen) ihre Fahrzeuge und stellten ihre Entwicklungsarbeit vor. Während in der größten Raffinerie Deutschlands pro Jahr Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet werden, zeigten die Studenten auf einer Mini-Teststrecke, was schon mit einem einzigen Liter Kraftstoff „bewegt“ werden kann. Im Vorjahr erkämpften sich die deutschen Studenten reihenweise Podiumsplätze (in fünf von zwölf Kategorien) beim weltgrößten Effizienzwettbewerb. Das Team „Schluckspecht“ von der Hochschule Offenburg schaffte knapp 390 Kilometer mit einem Liter Diesel und gewann so in der UrbanConcept-Klasse.
Bundesministerin Wanka sagte: „Ich drücke all den jungen Teilnehmern die Daumen, dass sie ihre Ziele im Wettbewerb erreichen und daraus Knowhow und Motivation für ihre weitere Entwicklungsarbeit schöpfen. Wir brauchen Menschen, die sich intensiv um nachhaltige Mobilität Gedanken machen, mehr denn je. Der Energiebedarf steigt und kreative Lösungen sind gefragt.“
Seinen Ursprung hat der Shell Eco-marathon Europe im südfranzösischen Le Castellet. Hier wurde der Wettbewerb 1985 erstmals mit rund 20 Teams – darunter auch eine deutsche Mannschaft aus der Gemeinde Edertal (Nordhessen) – ausgetragen. Schweizer siegten damals mit einer Distanz von 680 Kilometern pro Liter Benzin, die Deutschen kamen auf Rang 4. Viele der damaligen Fahrzeuge waren aus Holzteilen gebaut, Rasenmäher-Motoren sorgten für den Antrieb. Kein Vergleich zu heute: Aerodynamische Fahrzeugteile kommen bei vielen Teams mittlerweile aus dem 3D-Drucker, Tests im Windtunnel sind Standard in der Fahrzeugkonstruktion der Studenten.
Raphael Fischer gründete 1998 als wissenschaftlicher Mitarbeiter das erste Projektteam für den Shell Eco-marathon Europe an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Offenburg, seine Liebe gilt immer noch den „kleinen Flitzern, die fast lautlos fahren“. Er schwärmt: „Das war eine wunderbare Zeit. Das Tolle am Wettbewerb ist, dass die ganzheitlichen Entwicklungsprojekte helfen, Fahrzeuge von der Pike auf zu verstehen – und das ist die Grundlage für effizientes Fahren.“ Fischer ist inzwischen Leiter Innovation Projects beim Automobil-Zulieferer Schaeffler Technologies GmbH. Fischer erklärt: „Damals wurden wir gefragt: ‚Kommt denn diese oder jene Technologie aus dem Wettbewerb irgendwann auf die Straße?‘ Meine Antwort war immer: ‚Ja, aber nicht als fertige Fahrzeuge, sondern in Form der Kompetenz unserer Studenten.“
Der Shell Eco-marathon hat sich zu einem der wichtigsten Foren für Ideen zur nachhaltigen Mobilität entwickelt – mit Austragungsorten in Europa, den USA und Asien. Die Herausforderungen sind groß: Der weltweite Energiebedarf wird sich angesichts der wachsenden Bevölkerung bis 2050 verdoppeln, die Anzahl der Fahrzeuge von heute gut 900 Millionen auf mehr als zwei Milliarden steigen. Dr. Jörg Adolf, Chefökonom der Shell in Deutschland, erklärte: „Auch in Deutschland wird der Pkw-Bestand weiter wachsen, er erreicht 2022 mit rund 45,2 Millionen seinen Höhepunkt und nimmt erst dann langsam ab.“ Das zeigt die jüngste Shell Pkw-Studie. Und trotz Zunahme alternativer Antriebstechniken wie Hybrid und Elektro wird der Verbrennungsmotor die Hauptantriebsart bleiben. Der Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen könnten sich bis 2040 halbieren. „Dafür brauchen wir jedoch künftig ein verstärktes Engagement in der Forschung und dazu trägt auch dieser Wettbewerb bei“, sagte Dr. Wolfgang Warnecke, Chief Scientist Mobility der Royal Dutch Shell.
Beim Shell Eco-marathon Europe wird in zwei Kategorien gefahren: In der „UrbanConcept“-Klasse müssen die Fahrzeuge prinzipiell für den Straßenverkehr geeignet sein, dagegen sind in der Klasse der „Prototypen“ bei der Konstruktion kaum Grenzen gesetzt. In beiden Kategorien gibt es zwei Hauptarten von Motoren: Verbrennungs- und Elektromotoren. Beim Verbrennungsmotor können die Teilnehmer zwischen Benzin, Diesel, Ethanol, synthetischem Diesel aus Erdgas (GTL) oder Erdgas (CNG) wählen, beim Elektromotor zwischen Batterie und Brennstoffzelle. Im Wettkampf müssen die Fahrzeuge zehn Runden auf dem Parcours zurücklegen, um in die Wertung aufgenommen zu werden. Dabei dürfen sie nicht länger als 39 Minuten fahren; die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt mindestens 25 km/h. Danach wird der Kraftstoffverbrauch ermittelt und hochgerechnet, wie weit das Fahrzeug gekommen wäre, wenn es einen ganzen Liter Kraftstoff oder eine Kilowattstunde Strom verbraucht hätte. Sieger ist das Team mit der weitesten Strecke.
Quelle: ots.